Von Nancy Waldmann
Pilgern – das kann man nicht nur zum spanischen Santiago de Compostela. Quer durch Europa verlaufen die alten Jakobswege. Im Lebuser Land an der Westgrenze Polens wird nun ein historischer Weg wieder ausgegraben. Die ersten Pilger sind schon da. Das Lebuser Land beginnt etwa 80 km östlich von Berlin und ist selbst für die meisten Bewohner des nahen Großraumes Berlin-Brandenburg ein unbekannter Landstrich. Es ist übersät mit Seen, Wäldern und verschlafenen, seit 1945 geradezu konservierten Orten.
Zu Die Sonne blinzelt verschlafen durch den dichten
Nebel im Obra-Tal. Ein Hahn kräht. Am Kopf eines schattigen Angers
erhebt sich eine stattliche Fachwerkkirche, wie man sie dort, wo die
Backsteingotik zu Hause ist, nicht vermutet. Um die Kirche schlängelt
sich eine Pflasterstraße in einem Bogen herum. Sonst gibt es nur
Sandwege. Das Schloss des früheren Gutsherrn steht noch. Ein Ensemble,
wie es Fontane schon vor hundert Jahren beschrieb.
Ein
Kleinbus hält, ein Grüppchen Jakobspilger steigt aus. Vermutlich sind
sie die ersten Pilger in Gorzyca seit dem Mittelalter. Sehr ernst
scheinen sie das Pilgern nicht zu nehmen. Das Grab des heiligen Jakob
steuern sie gar nicht erst an und Jakobsmuscheln – das Symbol der
Jakobspilger – haben sie auch nicht dabei. Bis zum Abend des folgenden
Tages wollen sie das 50 Kilometer entfernte Osno erreichen – auf dem
historischen Lebuser Jakobsweg.
Das Lebuser Land,
nach dem der Weg benannt ist, beginnt etwa 80 km östlich von Berlin und
ist selbst für die meisten Bewohner des nahen Großraumes
Berlin-Brandenburg ein unbekannter Landstrich. Es ist übersät mit Seen,
Wäldern und Orten wie Gorzyca. Der Kommunismus und die Lage an der
Grenze hat die Provinz jahrzehntelang konserviert. Viel scheint sich
seit 1945, als die Bevölkerung des Dorfes nahezu komplett ausgetauscht
wurde, nicht verändert zu haben.
Nur
langsam erwacht das Leben im Lebuser Land
Der
EU-Beitritt Polens ließ die Grenze fast verschwinden, aber nur langsam
erwacht das Lebuser Land aus seinem Dornröschenschlaf. Tourismus soll
die strukturschwache Region retten, das hat man dort schon lange
erkannt, aber noch immer steckt er in den Kinderschuhen. Der Jakobsweg
könnte das Geschäft voranbringen.
Quer durch das
Lebuser Land soll eine der Routen verlaufen, die nach Santiago de
Compostela in Spanien führen. So jedenfalls schildert es die
Internetseite über „Jakobswege östlich und westlich der Oder“, die der
Historiker Ulrich Knefelkamp von der Universität Viadrina in Frankfurt
(Oder) seit Jahren gemeinsam mit Studenten erforscht. „Es ist schwer,
direkte Quellen der Jakobspilger aus dieser Region zu finden“, erklärt
Magda Pietrzak, die sich für das Projekt engagiert. „Wir haben uns an
den alten europäischen Handelsrouten orientiert, denn die nutzten die
Reisenden im Mittelalter.“ Ziel sei, den Jakobsweg als heutigen
Pilger-, Erlebnis- und Tourismusweg neu zu installieren.
Der
Unterschied zwischen Pilgern und Wandern
Die seit
dem Bestseller von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ erneut
gewachsene Popularität des spanischen Jakobsweges und des Pilgerns und
Wanderns überhaupt könnte dabei helfen. Allerdings: In Polen macht man
einen strengen Unterschied zwischen Pilgern und Wandern. Denn die Polen
sind zwar ein Volk von Wallfahrern, aber die Pilger-Tradition ist eng
an die Religion geknüpft. „Man pilgert in Gruppen und der Pfarrer führt
sie an“, sagt Magda Pietrzak. „Individuelles Pilgern ist in Polen noch
etwas Neues.“ Gerade deshalb komme es darauf an, für das Projekt die
Unterstützung der Kirche zu haben.
Magda gibt sich
optimistisch: Es gab bereits Gespräche mit der Wojewodschaftsregierung,
Kirchenvertretern und Gemeinden von deutscher und polnischer Seite.
Alle freuen sich über das Engagement der Studenten. Immer mehr
Interessierte fragen nach Informationen zum Weg. Mit Geld der
Euroregion soll die Beschilderung des Weges, sowohl im polnischen als
auch im deutschen Grenzgebiet finanziert werden.
Vor
Ort sucht man bislang vergeblich nach Indizien oder gar Wegweisern. Das
Pilgergrüppchen hat Gorzyca hinter sich gelassen. Der Weg führt vorbei
an einem „Betreten verboten“-Schild. Dahinter verbirgt sich eine
Schlucht aus zerrissenem Stahlbeton. Betonbrocken baumeln an
Eisenstangen. Eingänge führen in die unterirdischen Gänge eines alten
Bunkers.
Frühstück am Ufer des
Höllengrundsees
„Das ist nur ein kleiner Teil des
Oder-Warthe-Bogens, einer der größten Verteidigungswälle, die jemals in
Europa errichtet wurden“, erklärt Matthias Diefenbach, einer der
Pilger, beflissen. „Schon kurz bevor die Nazis an die Macht kamen,
begann man mit dem Bau.“ Östlich von diesem Ort verlief damals die
umkämpfte deutsch-polnische Grenze. Wer solche Wälle baute, muss
unbeschreibliche Angst vor den Nachbarn gehabt haben.
Matthias
Diefenbach weist in Richtung des Dorfes Chycina, wo am Ufer des
Höllengrundsees gefrühstückt werden soll. Er kennt sich aus in der
Gegend, nicht zuletzt durch sein Studium an der Viadrina. Den Lebuser
Jakobsweg sieht er als eine Art Lehrpfad durch die deutsch-polnische
Geschichte und Gegenwart. Und als Weg des sanften Tourismus. Er hat ein
kleines Reiseunternehmen gegründet und will mit kulturhistorischer
Expertise geführte Touren auf dem Jakobsweg östlich der Oder anbieten.
Auf
die langwierige Beschilderung der Strecke will Diefenbach nicht warten.
Er hat sich selbst eine Route überlegt, die der von Knefelkamps
Studenten ausgewiesenen stark ähnelt, aber noch ein paar interessante
Orte zusätzlich eingeschlossen hat. Auf seiner Karte zeigt der
Reiseleiter jüdische Friedhöfe, gotische Klöster und Naturparks. Bis
zur Unterkunft für diese Nacht ist es noch weit. Noch fehlt es an einem
dichten Netz von Herbergen.
Eine
Hochzeitsgesellschaft lockt das ganze Dorf aus den Häusern
Am
Nachmittag erreicht die Pilgergruppe das Dörfchen Bledzew. Der
rechteckige Marktplatz erinnert noch daran, dass der Ort einmal
Zisterzienser-Sitz war und Stadtrecht hatte. Am frühen Nachmittag ist
es dort sehr belebt. Eine Hochzeitsgesellschaft stellt sich auf und
lockt das ganze Dorf aus den Häusern. Der Marktplatz bildet eine schöne
Kulisse für das Zeremoniell. Allein, zwei ausgebrannte Dachstühle
stören die Idylle.
„Das eine Mal lag es am
Schornstein, der war schlecht gewartet. Bei dem anderen Haus war es
Brandstiftung“, klärt ein Bledzewer auf und schimpft: „So ein Pyromane.
Manche Leute drehen hier durch. Oder sie gehen weg, weil sie nichts
hält.“ Seine Kinder wohnen ebenfalls in Berlin. Auch das junge
Brautpaar sei längst abgewandert, nur zum Heiraten sei es
zurückgekommen.
Dabei – so scheint es den Pilgern –
ist das Lebuser Land ein Paradies. Sein größtes Kapital sind die Wälder
und Seen. Ein Kapital nicht nur für den Tourismus, sondern auch für die
Selbstversorgung der Einheimischen. Noch trifft man in den Wäldern und
Seen mehr Angler und Pilzesammler als Jakobspilger und Kulturtouristen.
Das könnte bald anders werden, wenn der Jakobsweg als Chance für die
Region begriffen wird, ist die Studentin Magda Pietrzak überzeugt.
31.01.2009
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Die
Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50
Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für
deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel
von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in
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