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Reiseziel Vergangenheit

Studenten helfen bei der Suche nach der Kindheit. Die Agentur"HeimatReise" in Frankfurt recherchiert für deutsche Familien ihreGeschichte in Polen und organisiert den Besuch in der alten Heimat.

Von Gunda Bartels

Ein Reiseschnappschuss wie viele: Ein kräftiger Mann in rotemHemd mit graumeliertem Meckie blickt forsch in die Kamera. Den rechtenArm hat er um einen scheu lächelnden, weißhaarigen Herrn mitSchiebermütze gelegt. Dahinter ein Haus, einfacher Grauputz, und imVordergrund ein blaues Auto. Deutsch-polnische Völkerverständigung imKleinen.

Die Reise, die Detlev Mielke im Oktober gemacht hat, ist keinewie viele. Sie führte nach Stodolsko in Polen. Das liegt zwar nur 136Kilometer von Frankfurt (Oder) entfernt Richtung Poznan, aber fürDetlev Mielke doch ein Menschenleben weit weg. "Ich wollte endlich malgucken, wo mein Vater das Kerzenlicht der Welt erblickt hat. Er hat mirso viel davon erzählt."

Und darum steht der 69-jährige Rentner nun auf dem Foto nebendem polnischen Besitzer des Hofs, den sein Opa 1923 nach der deutschenAbtretung des Posener Gebiets an Polen aufgeben musste.Dass es eineAgentur gibt, die spezielle Reisen für Leute wie ihn anbieten, hat erdurch die Zeitung erfahren. Die Agentur "HeimatReise" betreiben 16Studenten und Absolventen der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt(Oder). "HeimatReise" bietet einen bislang einzigartigen Service. Dasdeutsch-polnische Team macht sich seit 2005 für deutsche Vertriebeneoder deren Nachkommen auf Spurensuche in Polen und begleitet dieHeimwehreisenden dann auch persönlich bei der Begegnung mit derverlorenen Heimat. Für viele ist es eine sehr aufwühlende Erfahrung,denn oft ist es das erste Mal, dass sie das Land ihrer Vorfahrenbesuchen.

Jacqueline Nießer koordiniert die Anfragen an "HeimatReise".Sie ist 27 Jahre alt und hat ein Kulturwissenschaftsstudiumabgeschlossen. "Gerade haben wir Interessenten aus Deutschland, Amerikaund der Schweiz", sagt sie. Die Reisen würden nach Pommern, ins LebuserLand oder in die Neumark gehen. Und dieses Jahr auch nach Ostpreußenund Schlesien. Von den Reisen haben aber nicht nur die Kunden etwas,sondern auch die Rechercheure. Die Suchanfragen sind ein lebendigerAnsatz, sich mit Geschichte zu befassen, sagt Jacqueline Nießer. "Wirkönnen Menschen helfen, tun was für die Völkerverständigung und wirkönnen anwenden, was wir im Studium gelernt haben."

Die Reisebegleiter erlebten immer wieder berührendeSzenen. Schließlich würden sie in Menschenleben und deren Geschichtendirekt hineingezogen.So wie Nancy Waldmann, die gerade die Anfrageeiner alten Dame aus Potsdam recherchiert. Die Spur ihrer Mutter verlorsich um 1940 in der Nervenheilanstalt Landsberg, heute Gorzów, nur 80Kilometer von Frankfurt (Oder) entfernt. Die Tochter vermutet, dassihre Mutter dem Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer fiel und möchtedarüber Gewissheit haben. "Das ist eine traurige Geschichte", sagtNancy Waldmann, "aber sie ist auch wie ein Krimi. Ich will dasunbedingt rauskriegen". Wie sie das macht? "Unsere polnischenReisebegleiter kennen überall Leute. Und wir bekommen Tipps von lokalenHistorikern." Die Akten der Nervenklinik seien verschollen und jetztsei sie dabei, Vollmachten für die Archive zu besorgen.

Klar, dass diese Nachforschungen aufwendig sind und jede MengeZeit fressen. Die jungen Leute von "HeimatReise" arbeiten ehrenamtlich."Wir haben uns überlegt, zukünftig für jeden ersten Reisetag 195 Eurozu berechnen", sagt Jacqueline Nießer, denn mit der kleinenAufwandsentschädigung für die Reisebegleiter hätte es auf Spendenbasisbisher nicht so gut geklappt. Wegen der fehlenden Finanzierung istdeshalb auch die Zukunft von "HeimatReise" ungewiss. "Geld lässt sichmit so einer besonderen Reiseagentur nicht verdienen, denn wir machenja keine Gruppen- oder Busreisen."

Detlev Mielke und seine 23-jährige ReisebegleiterinJulia Gerstenbergsind denn auch zu zweit mit dem Auto nach Stodolsko gefahren. DasDurchfragen auf Polnisch hat sie für ihn erledigt. "Wir kannten nur dasDorf, aber nicht den Hof", erzählt sie. "Ja, wir haben uns vorsichtigrangetastet", sagt Mielke und lächelt. Und Blumen hätten sie auch nochbesorgt. "Die Polen sind schon ängstlich, wenn plötzlich Deutscheauftauchen", meint die Studentin. "Die Frauen holen immer erstmal ihreMänner." Aber wenn sich die Skepsis legte, wären sie hilfsbereit. Kämeja auch darauf an, wie man auftritt, sagt Mielke. "Manche fahren jamit'm dicken Benz und der Videokamera vor." Wie's ihm gefallen habe?"Das war schon ein Schock!", sagt er und zeigt mit vielsagendem Blickein Foto, das Opas alte Scheune zeigt, die inzwischen ein arglöcheriger Schuppen ist.

Dass er seinen Unmut äußerte, gefiel nicht allen in derMini-Reisegruppe. "Ich fand's nicht schön, dass er meckerte, sein Opahätte für 100 Jahre gebaut und jetzt fällt die Scheune hier zusammen",sagt Julia Gerstenberg freimütig. Und Detlev Mielke beeilt sich zubetonen, dass er das ja nur zu ihr und nicht zum polnischen Besitzergesagt hätte. Wie überhaupt "HeimatReise" nicht nur die Verständigungzwischen Deutschen und Polen, sondern auch den zwischen Alten undJungen fördert. "Unsere Mitreisenden freuen sich total darüber und sinddankbar, dass sich junge Leute für sie und ihre Geschichteinteressieren", sagt Nancy Waldmann.

Die Begegnungen in Polen seien ein Anfang. Das sind sich diedrei von "HeimatReise" sicher. Egal was dann danach draus würde. DetlevMielke lernt inzwischen sogar Polnisch. "Nur so aus Interesse", wiegelter ab, "damit das Gehirn nicht einrostet." So langsam sei es doch ander Zeit, Ressentiments zwischen Deutschen und Polen zu überwinden,sagt er, und wird dann doch einmal emotional. "Das war die wichtigsteReise meines Lebens." Aus seinen Vorstellungen sei endlich Realitätgeworden und dass die ihn auch ein bisschen enttäuscht hätte, seizweitrangig. "Überraschungen sind immer gut im Leben."

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Erschienen im Tagesspiegel am 2. Januar 2007

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